Debatten um Emil Ludwig in der Weimarer Republik (1919–1933)

 

 

Emil Ludwig – ein einst in Deutschland und dem Ausland berühmter, aber nahezu vergessener Schriftsteller, der sein gesamtes Wirken der Errichtung eines vereinten, auf Demokratie und Humanismus basierenden Europas widmet. Vehement tritt er für den Erhalt der Weimarer Republik und gegen den Nationalsozialismus ein. An totalitäre Systeme formuliert der Pazifist eine klare Absage und erleidet viel Kritik aus konservativen Lagern. Anfang der 20er Jahre wird er durch seine Biografie Goethe berühmt; es folgen weitere erfolgreiche Werke zu Bismarck und Napoleon. Eine der größten kulturpolitischen Debatten der Weimarer Republik lösen seine Biografie Wilhelm II. (1925) und die Analyse des Ersten Weltkrieges in Juli 14 (1929) aus – sie machen Ludwig zum umstrittensten Publizisten jener Zeit. Während Historiker seinen methodischen Ansatz kritisieren, beanstanden Gegner der Weimarer Republik die Inhalte seiner Werke.

In Wilhelm II. blickt Ludwig hinter die Fassade des Monarchen und zeigt diesen als einen im Grunde »schwachen« Menschen. Ein zentraler Aspekt ist die Schuld des Kaisers bzw. seiner militärischen Berater am Kriegsausbruch – Ludwig erklärt, dass Wilhelm den Krieg nie angestrebt habe. Das Werk, das das Kaiserreich als politisches System delegitimieren und die Weimarer Republik stützen soll, ruft verschiedene Reaktionen hervor. Es wird gelobt, aber auch zerrissen. Hinsichtlich eines internationalen Austauschs zwischen den früheren Kriegsgegnern hat es großes Potential, da es mehr Verständnis für das Handeln des Kaisers wecken kann, doch nur wenige Rezipienten erkennen dies. Anhänger monarchistischer Kreise fürchten, dass Wilhelm II. Schaden erleide. Aus der rechten Ecke kommt Kritik, die antisemitische Züge enthält. Hinzu gesellt sich der Ärger vieler Geschichtsprofessoren: Sie missbilligen Ludwigs schriftstellerischen Ansatz und sprechen ihm jede Qualifikation sowie (wissenschaftliche) Legitimation ab. In Abgrenzung zur professionellen Geschichtswissenschaft erhält Ludwigs Werk die Bezeichnung Historische Belletristik.

Das Buch zur Kriegsschuldfrage, Juli 14, spaltet Ludwigs Anhänger und Kritiker endgültig. Im Werk beschreibt der Autor das Ringen der Staatsmänner Deutschlands, Österreich-Ungarns, Frankreichs, Russlands und Englands in den letzten fünf Wochen vor dem Kriegsausbruch. Sein Fazit: Schuld am Krieg habe nicht ein einzelnes Land, sondern ganz Europa. Verantwortlich seien primär die Kabinette, insbesondere Minister, Generäle, Admiräle, Kriegslieferanten und Redakteure. Zur Gewinnung der Massen habe sich jede Regierung als »Opfer« präsentiert – nur auf Basis von Lügen sei die Bevölkerung mitgezogen. Das Werk erhält reichlich Lob aus England, Frankreich und den USA. Kritisiert wird jeweils die Passage, in der es um die Teilschuld der eigenen Regierung geht. In Deutschland ist die Kritik am größten – beanstandet wird zum einen die These von der völligen Unschuld der Völker, zum anderen verkenne Ludwig die zentrale Rolle der Rüstungsindustrie.

Während die Kritik an seiner Methodik abflaut, nehmen die rechten Anfeindungen gegen Ludwig auf dem Höhepunkt seiner Popularität stetig zu. In Deutschland wächst die antisemitisch geprägte »Anti-Ludwig-Front«, im Ausland bleibt er anerkannt. 1930 erscheint das Werk Der Fall Emil Ludwig von Niels Hansen, das Ludwig persönlich diskreditiert. Dieser zeigt sich stark, auch wenn ihn die permanenten Angriffe belasten. Er antwortet 1931 mit dem Buch Geschenke des Lebens und verteidigt seinen aufklärerischen Ansatz. Angezogen von der Liberalität der Schweiz nimmt der Schriftsteller 1932 die Schweizer Ehrenbürgerschaft an. Während die Weimarer Republik scheitert und Ludwigs Werke bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 vernichtet werden, geht sein publizistischer Kampf gegen den Nationalsozialismus weiter. Als die Schweiz den Groll des mächtigen Diktators fürchtet und Ludwig 1940 bittet, sich zurückzunehmen oder das Land zu verlassen, geht er mit seiner Familie in die USA. Dort setzt der Verfechter von Republik, Demokratie und Verfassung sein Engagement fort.

 

Constanze Kronisch