Emil Ludwig – ein einst in Deutschland
und dem Ausland berühmter, aber nahezu vergessener Schriftsteller, der sein
gesamtes Wirken der Errichtung eines vereinten, auf Demokratie und Humanismus
basierenden Europas widmet. Vehement tritt er für den Erhalt der Weimarer
Republik und gegen den Nationalsozialismus ein. An totalitäre Systeme
formuliert der Pazifist eine klare Absage und erleidet viel Kritik aus
konservativen Lagern. Anfang der 20er Jahre wird er durch seine Biografie Goethe berühmt; es folgen weitere
erfolgreiche Werke zu Bismarck und Napoleon. Eine der größten kulturpolitischen
Debatten der Weimarer Republik lösen seine Biografie Wilhelm II. (1925) und die Analyse des Ersten Weltkrieges in Juli 14 (1929) aus – sie machen Ludwig
zum umstrittensten Publizisten jener Zeit. Während Historiker seinen
methodischen Ansatz kritisieren, beanstanden Gegner der Weimarer Republik die
Inhalte seiner Werke.
In Wilhelm
II. blickt Ludwig hinter die Fassade
des Monarchen und zeigt diesen als einen im Grunde »schwachen« Menschen. Ein
zentraler Aspekt ist die Schuld des Kaisers bzw. seiner militärischen Berater
am Kriegsausbruch – Ludwig erklärt, dass Wilhelm den Krieg nie angestrebt habe.
Das Werk, das das Kaiserreich als politisches System delegitimieren und die
Weimarer Republik stützen soll, ruft verschiedene Reaktionen hervor. Es wird
gelobt, aber auch zerrissen. Hinsichtlich eines internationalen Austauschs
zwischen den früheren Kriegsgegnern hat es großes Potential, da es mehr
Verständnis für das Handeln des Kaisers wecken kann, doch nur wenige
Rezipienten erkennen dies. Anhänger monarchistischer Kreise fürchten, dass
Wilhelm II. Schaden erleide. Aus der rechten Ecke kommt Kritik, die
antisemitische Züge enthält. Hinzu gesellt sich der Ärger vieler
Geschichtsprofessoren: Sie missbilligen Ludwigs schriftstellerischen Ansatz und
sprechen ihm jede Qualifikation sowie (wissenschaftliche) Legitimation ab. In
Abgrenzung zur professionellen Geschichtswissenschaft erhält Ludwigs Werk die
Bezeichnung Historische Belletristik.
Das Buch zur Kriegsschuldfrage, Juli 14, spaltet Ludwigs Anhänger und
Kritiker endgültig. Im Werk beschreibt der Autor das Ringen der Staatsmänner
Deutschlands, Österreich-Ungarns, Frankreichs, Russlands und Englands in den
letzten fünf Wochen vor dem Kriegsausbruch. Sein Fazit: Schuld am Krieg habe
nicht ein einzelnes Land, sondern ganz Europa. Verantwortlich seien primär die
Kabinette, insbesondere Minister, Generäle, Admiräle, Kriegslieferanten und
Redakteure. Zur Gewinnung der Massen habe sich jede Regierung als »Opfer« präsentiert – nur auf Basis von Lügen sei die Bevölkerung
mitgezogen. Das Werk erhält reichlich Lob aus England, Frankreich und den USA.
Kritisiert wird jeweils die Passage, in der es um die Teilschuld der eigenen
Regierung geht. In Deutschland ist die Kritik am größten – beanstandet wird zum
einen die These von der völligen Unschuld der Völker, zum anderen verkenne
Ludwig die zentrale Rolle der Rüstungsindustrie.
Während die Kritik an seiner Methodik
abflaut, nehmen die rechten Anfeindungen gegen Ludwig auf dem Höhepunkt seiner
Popularität stetig zu. In Deutschland wächst die antisemitisch geprägte
»Anti-Ludwig-Front«, im Ausland bleibt er anerkannt. 1930 erscheint das Werk Der Fall Emil Ludwig von Niels Hansen,
das Ludwig persönlich diskreditiert. Dieser zeigt sich stark, auch wenn ihn die
permanenten Angriffe belasten. Er antwortet 1931 mit dem Buch Geschenke des Lebens und verteidigt
seinen aufklärerischen Ansatz. Angezogen von der Liberalität der Schweiz nimmt
der Schriftsteller 1932 die Schweizer Ehrenbürgerschaft an. Während die
Weimarer Republik scheitert und Ludwigs Werke bei der Bücherverbrennung am 10.
Mai 1933 vernichtet werden, geht sein publizistischer Kampf gegen den
Nationalsozialismus weiter. Als die Schweiz den Groll des mächtigen Diktators
fürchtet und Ludwig 1940 bittet, sich zurückzunehmen oder das Land zu
verlassen, geht er mit seiner Familie in die USA. Dort setzt der Verfechter von
Republik, Demokratie und Verfassung sein Engagement fort.
Constanze Kronisch