Emil Ludwigs Bild der Deutschen in seinen wichtigsten
Werken
Charakteristisch
für Ludwig in der Beurteilung der Deutschen ist die ständige Interdependenz von
Macht und Geist, die sich seiner Meinung nach in der Geschichte ständig verschiebt.
Die perfekte Harmonie dieser beiden Grundkonstanten erreiche nur ein Deutscher:
Goethe. In dieser Vorbildfunktion schenkte Ludwig ihm über sein ganzes Werk
hinweg große Aufmerksamkeit, thematisiert er ihn doch in dem Buch Goethe, in zahlreichen Aufsätzen wie Goethe als Demokrat und auch in Büchern, die im Kern
eigentlich nichts mit der Person Goethes zu tun haben, wie der Double History
of a Nation, in der jedes Kapitel durch ein Goethe-Zitat eingeleitet
wird. Nur wenn wie in Goethes Person Macht und Geist in einer untrennbaren,
gleichwertigen Verbindung auftreten, könne Demokratie im Innern und ein
Völkerbund nach außen gelingen.
Den
Ursprung dieses dualen Systems von Macht und Geist sieht Ludwig bereits im
Mittelalter und somit weit vor Goethe, als mit dem Heiligen römischen Reich
deutscher Nation das erste Mal nach der Herrschaft über beide Grundkonstanten
gestrebt wurde. Nicht nur territorial sollte Deutschland vergrößert werden, man
versuchte auch der Welt die deutschen Werte aufzudrücken. Das gleiche Ziel, so
schreibt er in Double
History of a nation, würden die Deutschen auch in den 1940er Jahren noch
verfolgen und deshalb gern auf das Mittelalter zurückblicken. Jedoch mit dem
Unterschied, dass sich der Geist über die Zeit vollständig verflüchtigt hätte
und nicht länger unabhängig sei.
Hauptverantwortlich
für diesen Prozess seien vordergründig die Preußen, die ab 1700 in Deutschland
zunehmend die Kontrolle übernahmen. In How to treat the Germans gibt Ludwig Einblicke in seine
Sichtweise gegenüber der neuen Macht: Der Preuße wolle vordergründig nur Macht
und Ehre. Deshalb sei er niemals korrupt, weil seine Stellung für ihn mehr wert
sei als alles Geld, deshalb liebe er seine Uniformen und die Demonstration
seiner Macht. Durch diese spezifischen Eigenschaften des »einfallslosen
Monsters« der Preußen mit der streng hierarchisch organisierten und durch
Befehl und Drill gekennzeichneten Gesellschaft, nahm der deutsche Weg in eine
lange Phase der Alleinherrschaft und Diktatur seinen Lauf, weil das Streben
nach Macht so groß wurde, dass der Geist auf der Strecke blieb. Dieser sei den
Preußen ohnehin nicht bekannt.
Alle
großen Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur in Deutschland seit 1750 seien
laut Ludwig entweder jüdischer Konfession oder aus dem Süden oder Westen
Deutschlands. Die Preußen hätten nie große Geister hervorgebracht. Dadurch sei
das deutsche Volk über Jahrhunderte langsam »verblendet« worden. Es akzeptierte
die Unterordnung im Staat, folge den Führern und würde für diese im Feld für
das heißgeliebte Militär sterben. Aus dieser Mentalität resultiere die
Tatsache, dass der Deutsche sich nie etwas schenken ließe, er wolle die Dinge
immer selbst erobern. So auch, als den Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg
durch Wilhelm
den II., den
Ludwig in seinem gleichnamigen Werk als bedenklichen Regenten beschreibt, mehr
oder weniger freiwillig die Freiheit geschenkt wurde. Die Deutschen waren ein
Jahrhundert lang zuvor mit Idealbildern von Autoritäten anstelle von
Idealbildern von Freiheit überzogen worden und konnten mit der Selbstbestimmung
nicht umgehen, da demokratische Ideen aufgrund der preußischen Infiltration
schwach waren. Hinzu kam die Dolchstoßlegende, die dem deutschen Volk das gab,
was es laut Ludwig fast zwangsläufig benötige: Ein Feindbild. Besonders die
Juden kristallisierten sich heraus, weil diese zu Beginn des 20. Jahrhunderts
sehr mächtig waren.
In
der Person Hitlers schaffte es mit Ludwigs Worten dann ein Mann an die Spitze
des deutschen Staates, der drei wesentliche deutsche Charakterzüge mit sich
brachte: Den Glauben an Gewalt, die Rachsucht gegenüber denen, die laut der
Dolchstoßlegende für die Niederlage im Krieg verantwortlich gewesen seien (denn
der Deutsche könne nicht verlieren) und sein Gespür für Unsicherheiten, die in
der Bevölkerung durch die Wirren der Weimarer Republik definitiv vorhanden
waren. Deshalb gipfelte die lange geistlose Periode schließlich in Hitler, der
für das Ästhetische nichts übrig habe und den Geist zu Gunsten von Macht und
Staat gänzlich unterdrückte.
Damit
sich eine solch schwarze Zeit in keinem Land Europas wiederholt, wollte Ludwig
mit einem weiteren Buch die Vereinigten
Staaten von Europa ins
Leben rufen, deren formulierte Artikel offensichtlich alles gegen eine erneute
preußische Mentalität in Europa tun sollten. Für Deutschland konkret schlug
Ludwig in How to treat
the Germans nach dem Krieg besonders eine Kontrolle des Staates, der
Bildung und der Erziehung durch die Alliierten vor, damit sich auch national
die preußische Mentalität weder von oben noch von unten im Staate halten oder
fortpflanzen könne.
Christopher
Wüste