Emil Ludwig, die USA im Zweiten
Weltkrieg und sein Verhältnis zum US-amerikanischen Präsidenten F.D. Roosevelt
Emil Ludwig genoss während des
Zweiten Weltkrieges eine ungeheure internationale Reputation und agierte als
Berater des US-amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt für
deutschlandpolitische Fragen, während ihn das NS-Regime verachtete und bereits
kurz nach Hitlers Machtergreifung die Verbrennung seiner Werke anordnete. Mitte
der 1930er Jahre begab sich Emil Ludwig auf Vortragsreisen durch die USA, trat
im Sommer 1937 erstmalig mit Roosevelt persönlich in Kontakt und emigrierte am
15. Mai 1940 endgültig in das Land. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges
veröffentlichte Emil Ludwig bereits Biographien über Roosevelt und die
Diktatoren Adolf Hitler, Benito Mussolini und Josef Stalin. Unmittelbar nachdem
er im Jahre 1940 eine Verfassung der Vereinigten Staaten von Europa entwarf,
floh er ins Exil in die USA. Ab Herbst 1940 hielt Emil Ludwig sämtliche
Vorträge u.a. in New York und Los Angeles zur Entwicklung in Europa und der
Zukunft Deutschlands und publizierte in den darauffolgenden Monaten zahlreiche
Artikel u.a. in der New York Times,
der Los Angeles Times und im New
Yorker Aufbau zur aggressiven Politik
der Nationalsozialisten. Deutsche Faschisten hingegen reagierten stets mit
wütender Ablehnung gegenüber Emil Ludwigs Publikationen und verunglimpften ihn
in der Vergangenheit in verschiedenen rechtsorientierten Zeitungen.
Ab April 1941 war Emil Ludwig
Mitarbeiter in der Abteilung Defense Savings des US-Finanzministeriums, für Propaganda für
Rüstungsanleihen unter der fremdsprachigen Bevölkerung der USA zuständig und
wurde am 16. Mai in den Advisory Board des
Aufbaus aufgenommen. Emil Ludwigs
Präsenz in dieser Phase des Zweiten Weltkrieges machte sich in der breiten
Medienlandschaft bemerkbar, so führte er z.B. Radiogespräche auf NBC zum Thema What was opened to release all the ills of the
world? oder auf KFWB zu How much unity do we have
to have to
bring this war to a successful conclusion?, war
in der Theateraufführung zu The Return of Ulysses als Bühnenautor am Pasadena Playhouse in Los
Angeles involviert, publizierte Werke und hielt Reden auf Tagungen und
Trauerveranstaltungen. Bis zum Winter 1943/44 hielt Emil Ludwig bereits über 40
Vorträge über das mögliche Nachkriegsdeutschland, hatte zahlreiche Begegnungen
mit Roosevelt im Weißen Haus und führte weitere Auseinandersetzungen mit
anderen Emigranten. In den nachfolgenden Monaten wurde Emil Ludwig Mitglied im Emergency Committee to
save the Jewish people of Europe und
engagierte sich explizit für die friedliche Neugestaltung eines
Nachkriegseuropas, indem er u.a. die Society
for the Prevention
of World War III im Frühjahr 1944 mitbegründete
und zu den führenden Köpfen dieser Gesellschaft gehörte. Insbesondere war Emil
Ludwigs Leben in den letzten Monaten des Krieges durch Vortragsreisen in den
USA zum Thema Re-Education der Deutschen, durch sämtliche Beiträge und
Publikationen, wie z.B. How to Treat the Germans und The Moral Conquest of
Germany, und Begegnungen mit hochrangigen Politikern, wie z.B. dem
Vizepräsidenten Harry S. Truman, dem US-Staatssekretären Edward R. Stettinius,
dem kanadischen Ministerpräsidenten W. L. Mackenzie King und seinem Vertrauten
Roosevelt, geprägt. Nach der Kapitulation Nazi-Deutschlands am 8. Mai 1945
führte Emil Ludwig für die US-Nachrichten-Agentur United Features Interviews mit George S. Patton, Lucius D. Clay und
dem späteren US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower, die allesamt während des
Zweiten Weltkrieges als US-Generäle in Europa agierten, und war bis kurz vor
seinem Tod am 17. September 1948 in der US-Besatzungs- und Re-Education-Politik
involviert.
Als Berater für
deutschlandpolitische Fragen stand Emil Ludwig in einem engen Beziehungsgefüge
zu Franklin D. Roosevelt. Ihre Zusammenarbeit zeugte von gegenseitigem Respekt
und Vertrauen. Zu Lebzeiten Roosevelts und zu Zeiten politischer und
gesellschaftlicher Krisen war Ludwig immens von seiner Person und seinem
Charakter fasziniert, sodass er beschloss, diese Persönlichkeit zu studieren
und aller Welt zugänglich zu machen:
»Die
Gestalt, die ich studierte, erleichterte diese Art der Betrachtung. Die
strahlende Gegenwart dieses gesunden, vornehmen und offenherzigen Mannes ist
dazu angetan, ihn aus unmittelbarer Nähe abzuschätzen. Sollte ich dabei seinem
Charme erlegen sein, umso besser; [daß] sic!
Roosevelt die Menschen ‚bezaubere‘, ist eine der dümmsten Einwendungen seiner
Gegner. Denn über das Politische hinaus ist grade die Geschichte seiner
Persönlichkeit von symbolischer Bedeutung für unsere Zeit.«
Mit diesen eindrucksvollen
Worten eröffnet Emil Ludwig seine Biographie über einen der größten Männer
seiner Zeit: Franklin D. Roosevelt, 32. Präsident der Vereinigten Staaten von
Amerika (1933–1945). Ludwig war bestrebt »Roosevelts Wesen im gegenwärtigen
Anblick der Person [zu] studieren, durch Rede und Gegenrede, durch den
Widerschein in Kopf und Herzen seiner Freunde und Feinde.« Die Biographie
erschien im Jahr 1938, also zu Lebzeiten des damaligen Präsidenten. Ludwig
wagte sich mit seiner Darstellung eines Lebenden zum ersten Mal in die Mitte
der Aktivitäten Roosevelts, die er nachzuzeichnen versuchte. Dies stellt den
besonderen Charakter Roosevelts für Emil Ludwig deutlich hervor, da ihm die
spätere Lebenslinie des Präsidenten vorenthalten blieb. Diese Jahre beinhalten
Zeit und Art seines Todes, »der gewichtige Schlüssel zur Deutung jedes Lebens.«
Warum also schrieb Emil Ludwig eine Biographie Roosevelts zu seinen Lebzeiten?
Roosevelts Charakter und
Persönlichkeit muss für ihn so herausragend gewesen sein, dass diese
Gegebenheiten die letzte Lebensspanne bis zum Tod überschatten. In seinem
Vorwort sind einige Hinweise zur Person des Präsidenten verzeichnet, die auf
die Beziehung zwischen Ludwig und Roosevelt schließen lassen. Ludwig fragt sich
gezielt, »wie es kam, daß ein reicher Mann der Freund
der Armen, daß ein halb-gelähmter Mann Träger einer
gigantischen Bewegung wurde; wie das geborne
Glückskind zum verhaßten Vorkämpfer heranreifte.«
Diese Aspekte seines Lebens interessierten ihn mehr, als die Tafeln seiner
Reformen. Er fokussierte sich »auf das Bild einer zur Macht emporstrebenden
Persönlichkeit«. Sein Werk konzentriert sich weniger auf Steuern oder Reformen,
die Roosevelt erhoben hat, sondern versucht den Kern seines Wesens zu
analysieren. Ludwig wollte auf diesem Weg die Faszination für Roosevelt
öffentlich zum Ausdruck bringen, in einer Zeit, die von Kriegen und Gewalt
beherrscht wurde. Ludwig spricht selbst davon, dass seine Biographie heiterer
geworden ist, als es von einem Bild eines politischen Führers in seiner Zeit zu
erwarten gewesen wäre. Er macht deutlich, dass dieses Werk gleichzeitig eine
Studie eines Europäers über einen Amerikaner ist. Ludwig stellt heraus, dass
ein Fremder, der in eine andere Landschaft tritt, mehr sieht, als den
Eingeborenen auffällt. Roosevelt weist letztendlich die meisten Stärken und
Schwächen seines Volkes auf. Er fasst dies in einem prägnanten Zitat zusammen:
»So
sehr er Weltbürger von Gesinnung ist, so sehr ist Roosevelt Amerikaner von
Natur.«
Ludwig betont immer wieder die
Offenheit seines Wesens und die besonderen Gelegenheiten, die er ihm im Amt und
auf dem Land ermöglicht hat, um seinen Charakter zu studieren. Er befragte auf
zwei Reisen im Jahr 1937 sowohl Widersacher, als auch Mitarbeiter Roosevelts,
die ihm durch ihre jeweiligen Urteile mehr Erkenntnisse verschafften. Ludwig
konnte als Fremder beim Präsidenten und seiner Umgebung ein unglaubliches Vertrauen
wahrnehmen, denn er erlaubte dem Porträtisten ihn selbst zu studieren. Dieses
war dem Autor zuvor niemals möglich gewesen. Er macht deutlich, dass »ein
solcher Anblick […] viele Dokumente [ersetzt], die uns die Geschichte bietet,
und […] selber zum historischen Dokument [wird].«
Der vierte und fünfte Akt des
Dramas über das Leben und Wirken Roosevelts ist zu dieser Zeit noch nicht
geschrieben, demnach konnte Ludwig das Porträt nicht im natürlichen Ablauf
seines Lebensbogens darstellen. Der letzte Teil ist also vielmehr eine
Charakteristik, die nach Ludwig zum vom Schicksal noch ungeschriebenen Teil
überleitet. Eins ist klar: Die Leser werden weder von einem nach Diktatur
strebenden Präsidenten erfahren, noch von einem vom Ehrgeiz übermannten Ex-Präsidenten.
In seinen Schilderungen befinden wir uns derzeit noch vor Beginn des Zweiten
Weltkrieges. Der Schriftsteller teilt unter anderem Gedanken zum vermeintlichen
Kriegsbeginn und wie Roosevelt als staatstragende Person darauf einwirken kann.
Emil Ludwig war überzeugt, dass, wenn der Krieg noch vor 1940 beginnt,
Roosevelt zum dritten Mal gewählt wird und so durch seine konstitutionelle
Macht als Persönlichkeit entscheidenden Einfluss auf das Weltkriegsgeschehen
nehmen kann. Er wird als eine Person dargestellt, die Macht genießt ohne sie zu
missbrauchen, und »der mit Überredung und Humor eine schweigende Revolution
leitet und so unserer Epoche beweist, [daß]sic! die
natürliche Tatkraft eines gerechten Herzens tiefer und dauernder wirkt als alle
Künste düsterer Demagogen.« Roosevelts Agieren ist in keiner Weise neu für die
Europäer. Der entscheidende Punkt liegt darin, wie er es tut, »wie er mit
Volkswahl und Kongreß, bei voller Freiheit der
Opposition und Rede einen konservativen Staat in einen halb-sozialistischen
umbaut.« Diese Handlungsstrategien bezeichnet Ludwig als herausragendes
Beispiel und nicht zuletzt als einen Trost für Europa. Es könnte der letzte
Versuch Roosevelts sein, zwischen Arm und Reich ohne Revolution zu vermitteln.
Ludwig ist überzeugt, dass dies nicht anderes ist als das Thema des
Präsidenten. Deutlich aus den Schriften Ludwigs wird immer mehr, was Roosevelt
für ihn bedeutete. Er markiert nicht nur einen Herrscher seiner Zeit, der mit
Offenheit und Güte ausgezeichnet ist, sonders könnte aus Ludwigs Perspektive
der Mann sein, der das Volk aus der drohenden Katastrophe rettet:
»Was
Roosevelt zu Anfang rasch eroberte, heut unter harten Kämpfen erstreitet,
konnte nur einem harmonischen Charakter zufallen. Er ist es, den ich der von
problematischen Naturen regierten Welt vorstellen möchte. Denn auch diesmal
kann eine Persönlichkeit mehr entscheiden als hundert Statistiken.«
Zweifelsohne sieht er Roosevelt
in seinen Visionen als tragende Persönlichkeit und wichtigsten Akteur im
Kriegsgeschehen. An mehreren Stellen in seinem Werk verweist er auf die Stärke,
die den Präsidenten ausmacht. Insbesondere nach seiner Erkrankung an
Kinderlähmung bewahrt Roosevelt seine innere Sicherheit und wehrt sich gegen
die Diagnose. Viele Ärzte diagnostizierten eine Lähmung abwärts der Hüfte,
sodass er nie wieder fähig sein würde zu gehen. Manche Ärzte stellten die
Aussichten noch dunkler. Die ganz untere Körperhälfte war gelähmt und zu Beginn
noch die Arme. Bei allen stand fest, dass er sich nie wieder würde fortbewegen
können. Der einzige, der diese Diagnose nicht glauben wollte, war der Patient
selbst. Ludwig übermittelt die Worte, die der Erkrankte erwiderte: »Es ist
lächerlich, daß ein erwachsener Mann eine
Kinderkrankheit nicht überwinden soll!« Aus diesen Worten entwickelten sich
Energie und Geduld, die er in folgenden Jahren immer wieder unter Beweis
stellte. Stundenlang am Tag machte er Übungen, um wenigstens seinen Zeh bewegen
zu können. Diese enorme Durchsetzungsfähigkeit und der Entschluss, den er zur Tat
umsetzte, war das größte Beispiel seiner Tatkraft, die sich Jahrzehnte später
weltgeschichtlich auswirken sollte. Die Erkrankung bildete einen dramatischen
Einschnitt in seinem Leben und ist ein Beispiel für seine enorme Willensstärke.
Ludwig markiert dies als Zäsur in seinem Leben, der Augenblick, wo er die Menge
überwächst. Gegen Ende seiner Biographie verweist der Autor immer wieder auf
die Menschlichkeit und die Liebe zum Menschen, die Roosevelt ausmacht und
umgibt:
»Der
Denker, der Künstler, der Menschenfeind sind gern allein. Roosevelt ist keins
von allen dreien, daher beständig unter Menschen. Auch weil er so gern kämpft,
aber nicht [haßt]sic! braucht er Menschen.«
Diese Form der Menschlichkeit
und Menschenliebe lässt Ludwig zu einem Vergleich zwischen Lincoln und
Roosevelt hinreißen. Obwohl er beide Charaktere als höchst verschieden ansah,
ließ sich doch eine Gemeinsamkeit herausfiltern. Sie sind nach Meinung des
Autors durch zwei große Eigenschaften verbunden, durch Humor und
Menschenfreundschaft. Als Ludwig Roosevelt fragte, was ihm Lincoln bedeute,
antwortete er: »Lincoln? The greatest humanitarian. Dagegen als Regierungsmann, als
kriegsführender Präsident, in seiner Behandlung des Kongresses, also als reiner
Politiker? Nicht bedeutend. Was bleibt und was ich nie erreichen könnte: er war
entschieden der größte Menschenfreund.« Letztendlich zeigt der Charakter, den
Ludwig in seinem Werk skizziert, wie er in allem dem Typus der Diktatoren
widerstrebt. Während ein Diktator mit Hass und Verfolgung beginnt, will
Roosevelt die Verfolgten schützen. Während der Diktator hasst, tötet und
verbannt, entlarvt, beweist und besteuert Roosevelt. Während der Diktator
gefürchtet werden will, will Roosevelt geliebt werden. Der Vergleich, den
Ludwig am Ende seines Werkes aufführt, soll Roosevelt als Gegenpol zu vielen
seiner Mitstreiter im 20. Jahrhundert darstellen. Emil Ludwig charakterisiert
seinen Präsidenten als Freund des Volkes und gleichzeitig als Widersacher der
Diktatur, die in dieser Zeitspanne die Welt dominiert.
Patricia Leonhardt, Alexander Riemer