The Germans: Double History of
a Nation
Erstdruck: Emil Ludwig. The Germans: Double History of a Nation.
Boston: Little, Brown and Company,
1941.
Übersetzungen:
Chinesisch (1991), Französisch (1941), Deutsch (1941), Portugiesisch (1941),
Schwedisch (1944), Spanisch (1941)
The Germans: Double History
of a Nation ist ein gut 500 Seiten fassendes Werk aus dem Jahre 1941.
Die Überblicksdarstellung der deutschen Geschichte erstreckt sich inhaltlich
von den Anfängen der deutschen Kultur mit dem Sieg der germanischen Völker über
drei römische Legionen bei Kalkriese im Jahr 9 n.Chr. bis hin zu Emil Ludwigs
Gegenwart mit dem Zweiten Weltkrieg.
Gegenüber
anderen (auch neueren) Überblicksdarstellungen deutscher Geschichte
thematisiert Emil Ludwig titelgebend eine Double History,
deren eine Seite die gewöhnliche Ereignis- und Personengeschichte darstellt,
die andererseits aber auch versucht, die Genese des deutschen »Charakters«
anhand der Geschichte zu erläutern. Er geht also naturdeterministisch davon
aus, dass alle Ereignisse bis zum Zweiten Weltkrieg in ihrer Entstehung vom
deutschen Charakter abhängig seien. Der Zweite Weltkrieg wird dabei von Ludwig
als negativer Gipfel der deutschen Geschichte verstanden, den er durch diese
Darstellung zu erklären sucht.
Das
Werk teilt sich in fünf einzelne Bücher, die die deutsche »Doppelgeschichte«
chronologisch abarbeiten: Das erste Buch heißt »The dream
of World Dominion. From
Charlemagne to Gutenberg« und behandelt nach kurzer
Vorgeschichte im Kern den Zeitraum von 800 bis 1500. In den Fokus rücken hier
besonders das Leben Karls des Großen, die Anfänge der deutschen Literatur
(unter anderem durch Walter von der Vogelweide), die Anfänge der
Judenverfolgung im alten Reich und die Geschichte Gutenbergs inklusive des
Buchdruckbeginns. Außerdem beschreibt er hier erstmals den deutschen Charakter
genauer: Die Deutschen würden in den 1930er und 1940er Jahren deshalb so oft
auf das Mittelalter zurückschauen, weil sie damals wie heute die Herrschaft
über das duale System von Gewalt und Geist erlangen wollen würden. Der Geist
habe sich nach Ludwigs Ansicht in diesem für Deutschland richtungsweisenden
Prozess aber über die Zeit verflüchtigt, was den Unterschied der Neuzeit
gegenüber dem beschriebenen Mittelalter darstelle.
Im »Struggle for
the Creed. From Luther to
Kepler« überschriebenen zweiten Buch behandelt Ludwig den Zeitraum von 1500 bis
1650, also vom Ende des Mittelalters bis hin zum Ende des Dreißigjährigen
Krieges. Thematische Schwerpunkte sind hier die Person Martin Luthers sowie die
Reformationsgeschichte und die Hexenverbrennung. Besonders Letztere stelle
Ludwigs Ansicht nach die Grausamkeit der Deutschen
heraus, die durch zweitausend Jahre Kriegsführung den Kampf als »Passion« für
sich entdeckt hätten.
»Schism of State and Spirit. From the Great Elector to Goethe« behandelt als
drittes Buch den zweiten Teil der frühen Neuzeit von 1650 bis 1800. Besondere
Aufmerksamkeit widmet Ludwig hier dem Aufstieg und der Konsolidierung der
Preußen und den damit einhergehenden territorialen, wirtschaftlichen, sozialen
etc. Veränderungen im deutschen Reich sowie der Person Johann Wolfgang von
Goethe. Selbiger leitete mit von Ludwig ausgewählten Zitaten alle fünf Bücher
der Double History
of a Nation ein, was die besondere Bedeutung
zeigt, die Ludwig der Person Goethes in der deutschen Doppelgeschichte
zuschreibt. Außerdem sind sowohl die fiktive als auch die historische Person
des von Goethe heroisierten Fausts durch die ersten drei Bücher durchgehend zu
finden. Den deutschen Charakter betreffend sticht besonders der Vergleich des
Aufstiegs der preußischen Stadt Berlin in dieser Zeit ins Auge, die Ludwig als
»Pyramide des preußischen Staates« und als »einfallsloses Monster« bezeichnet,
das die Freiheit des Geistes und der Deutschen im Allgemeinen zerstört hätte.
Das
vierte Buch »World-Citizens and Nationalists From Beethoven to Bismarck«
behandelt den Zeitraum von 1800 bis 1890 und thematisiert im Gegensatz zu den
vorherigen Büchern eine deutlich geringere Zeitspanne. Dies liegt vor allem an
den vielen bedeutenden historischen Ereignissen, die sich in der kurzen Zeit
ereigneten, wie zum Beispiel der Niederlage Napoleons und der damit verbundenen
Neugestaltung der Ländergrenzen durch den Wiener Kongress sowie der versuchten
deutschen Revolution und Frankfurter Nationalversammlung 1848/49 bis hin zur
Gründung des Deutschen Reiches in 1872. Neben den geschichtlichen Ereignissen
stehen mehr Personen im Fokus der Erzählungen, die Maßgeblich für den »German
Spirit« sind, zum Beispiel die Humboldts, Freiherr von Stein und vor allem
Bismarck. Ludwig berichtet detailliert über Bismarcks langes, persönliches
Wirken auf die Politik bis hin zur Gründung des Deutschen Reiches im Jahre
1871.
Das
fünfte und letzte Buch heißt »Decline from William II to Hitler« und
deckt die Zeit von 1890 bis 1940 ab, in der beide Weltkriege stattfanden. Nach
der Reichsgründung Deutschlands herrschte vierzig Jahre Frieden, bevor sich das
Meinungsbild der anderen Länder gegenüber Deutschland änderte. Dies lag am »German
Character«, der nach Anerkennung in der Welt strebte
und arrogant war, was von den anderen Ländern als Gefahr wahrgenommen wurde.
Die Deutschen spielten gerne Soldaten und fühlten sich am besten, wenn sie
ihrem Land dienten. Daher waren sie zu jedem Kriegsbeginn enthusiastisch.
Gleichzeitig behinderte sie ihr Gehorsam am Kampf für die Freiheit, da kein
Vorgesetzter jemals diesen Befehl zum Kampf für die eigene Freiheit gegeben
hat. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und Ausruf einer Republik wurde den
Deutschen diese Freiheit geschenkt, jedoch fühlten sie sich nicht frei und die
Dolchstoßlegende breitete im Volk den Wunsch nach Vergeltung aus. Die im
Versailler Vertrag beschlossene Minimierung des deutschen Heeres nahm der
Bevölkerung das, was sie gut konnte: Befehle befolgen. In der Zeit, in der die
Unzufriedenheit der Deutschen mit dem Staat wuchs, konnte Hitler durch sein
Propagandaprogramm, welches durch seine Versprechen so überzeugend für die
Bevölkerung war, an die Macht gelangen. Die Deutschen haben mit der
Liberalisierung nach dem Ersten Weltkrieg 14 Jahre lang auf einen neuen
Anführer gewartet, der schließlich die Nation in den Zweiten Weltkrieg führte.
Insgesamt
will Ludwig weniger eine Abrechnung mit dem deutschen Volke schaffen, als
vielmehr einen Erklärungsversuch dafür liefern, wie es zu der Initiatorenrolle der Deutschen im Ersten und insbesondere
im Zweiten Weltkrieg kommen konnte. Es ist das Streben nach Ordnung, Macht und Kontrolle in jeglicher Hinsicht, die das Deutsche Reich
Ludwigs Ansicht nach zu dem machten, was es zur Erscheinungszeit der Double History of a Nation am Anfang der 1940er Jahre geworden war.
Der Aufstieg Hitlers ist somit also nicht mit kurzfristigen politischen,
wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts zu erklären, sondern vielmehr mit den Wesenszügen des deutschen
Volkes, die sich seit der Schlacht bei Kalkriese um 9 n.Chr. herausgebildet
hätten.
Jasmin
Eickmeier, Christopher Wüste