Im Westen nichts Neues
Produktionsdaten
Im Westen nichts Neues
nach Erich Maria Remarques Roman Im Westen nichts Neues (1928/29)
BRD, GBR,
USA: 2021; Netflix
Originallänge: 148 Min.; Farbe
Regie: Edward Berger; Drehbuch: Edward Berger, Lesley Paterson,
Ian Stokell; Produzenten: Malte Grunert, Daniel Dreifuss,
Daniel Brühl; Kamera: James Friend; Schnitt: Sven Budelmann; Musik: Volker Bertelmann (alias Hauschka); Darsteller: Freunde: Felix Kammerer (Paul Bäumer), Albrecht Abraham Schuch
(Stanislaus Katczinsky), Aaron Hilmer (Albert Kropp),
Moritz Klaus (Frantz Müller), Edin Hasanovic (Tjaden Stackfleet),
Adrian Grünewald (Ludwig Behm); Verhandler:
Daniel Brühl (Matthias Erzberger), Thibault de Montalembert
(Marschall Foch); Generalstab: Devid
Striesow (General Friedrich), Sebastian Hülk (Major
von Brixdorf)
Uraufführung:
12.09.2022 in Toronto, Kanada
Kinostart
in Deutschland: 29.09.2022
Start auf Netflix weltweit:
28.10.2022
Autor der Erläuterungen
auf dieser Seite: Till
Frese
Die dritte Verfilmung des klassischen
Antikriegsromans Im Westen nichts Neues
(1928/29) von Erich Maria Remarque erschien 2022, wurde mit vier Oscars
ausgezeichnet und für die Streaming-Plattform Netflix produziert. Abgesehen von
den Ausgangsprämissen – junge ahnungslose Männer melden sich freiwillig für den
Einsatz im Ersten Weltkrieg, müssen aber schon nach ihrem ersten Fronteinsatz
erkennen, dass es weder Ruhm noch Ehre, sondern nur Leid und Tod im Krieg zu
holen gibt – weicht der Film zumindest auf der Handlungsebene in großen Teilen
stark vom Roman und damit auch von den beiden vorangegangenen Verfilmungen ab.
Dies war einer der Gründe für die mitunter durchwachsenen Kritiken, die der
Film kurz nach seinem Erscheinen in der deutschen Presse bekam. Ferner wurde
die bestürzende Aktualität der Thematik von Roman und Film vor dem Hintergrund
des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022 vielfach hervorgehoben,
auch wenn der Film bereits Monate vorher fertiggestellt und somit kein
unmittelbarer Kommentar zum Kriegsgeschehen war.
Die Entstehungsgeschichte dieser Verfilmung
geht bis in das Jahr 2010 zurück. Damals wurde bekannt, dass eine Neuverfilmung
des Antikriegsklassikers von Erich Maria Remarque mit Daniel Radcliff in der Hauptrolle des Paul Bäumer geplant sei.[1]
Die späteren Drehbuchautoren Ian Stokell und
Lesley Paterson waren zu dieser Zeit noch als Produzenten vorgesehen. Nach den
ersten Ankündigungen wurde es zunächst still um das Projekt, bis man 2014 mit
einer Reorganisation an die Öffentlichkeit trat. Radcliff
sollte die Hauptrolle nun nicht mehr übernehmen, diverse Personalentscheidungen
wurden bekanntgegeben, und die bisherigen Produzenten Stokell
und Paterson waren nun für das Drehbuch verantwortlich.[2], [3] Danach
wurde das Projekt aber erneut auf Eis gelegt und erst Anfang 2020 wieder
aufgenommen. Bis auf die beiden Drehbuchautoren wurde viel Personal
ausgetauscht, das Drehbuch ins Deutsche übersetzt und die Produktion im
Wesentlichen nach Deutschland verlagert. Die Dreharbeiten für die
Neuverfilmung, die Netflix sich inzwischen gesichert hatte, konnten 2021
erfolgreich abgeschlossen und der Film im September 2022 in Toronto
uraufgeführt werden.[4]
Inhaltszusammenfassung
Der Film beginnt mit dem Tod
eines Soldaten namens Heinrich auf einem Schlachtfeld im Ersten Weltkrieg. Im
Anschluss wird der Wiederverwertungsprozess seiner Uniform von der Entkleidung
seiner Leiche bis zur Reinigung und Ausbesserung gezeigt. Diese Uniform erhält
der junge Soldat Paul Bäumer, der sich mit seinen Schulkameraden, darunter
seine Freunde Albert Kropp, Ludwig Behm und Frantz Müller, im Frühjahr 1917
freiwillig zum Kriegseinsatz gemeldet und dafür die Unterschrift seiner Eltern
auf der Einverständniserklärung gefälscht hat. Von der Hurra-patriotischen Rede
ihres Lehrers angestachelt, ziehen die neuen Soldaten mit Liedern auf den
Lippen in Richtung Westfront. Dort angekommen müssen sie mit ihren Helmen
Regenwasser aus den matschigen Schützengräben schaufeln, wobei Paul den
erfahrenen Frontsoldaten Stanislaus Katczinsky
(genannt „Kat“) kennenlernt, der mit der Zeit sein bester Freund wird. Als Paul
und Kropp nachts Wache im Schützengraben halten, lernen sie den ebenfalls
erfahrenen Soldaten Tjaden Stackfleet kennen.
Zusammen mit Kat erteilt er Paul und seinen Freunden Ratschläge zum Überleben
an der Front. Bei einem Angriff der Franzosen wird Pauls Freund Ludwig Behm
getötet, dessen Plakette Paul einsammeln soll. Diese Plaketten werden zur
Obersten Heeresleitung geschickt, wo sie zur Erfassung der Gefallenen verwendet
werden.
Es folgt ein Zeitsprung zum 07.11.1918
und ein Ortswechsel zur Obersten Heeresleitung, wo sich Matthias Erzberger
befindet – eine historische Persönlichkeit –, der die hohe Zahl der Gefallenen
als Argument gegen den Krieg benutzen will. An der Front gibt es einige Momente
der Ruhe: Paul und Kat fahren aufs Land und stehlen einem Bauern eine Gans, die
sie sich nach ihrer Rückkehr mit ihren Freunden zubereiten; Frantz Müller zieht
mit einigen vorbeifahrenden französischen Frauen mit, von denen er ein Halstuch
mitbringt, das in der Folge noch die Runde macht; sie unterhalten sich über
ihre Perspektiven und ihre Perspektivlosigkeit nach dem Krieg und Paul liest
Kat auf der Latrine einen Brief von dessen Frau vor. Inzwischen besucht
Matthias Erzberger in Begleitung des Generals Friedrich – ein fiktiver
Charakter – die Front, um sich von den Zuständen vor Ort ein Bild zu machen.
Unterdessen sind die Freunde auf der Suche nach einem Trupp Rekruten, die sie
von Giftgas getötet vorfinden. Dabei entdeckt Albert Kropp an einem
Anschlagbrett das Bild einer jungen Frau, das er mitnimmt und ihm praktisch als
Hoffnung für die Zukunft dient. Währenddessen haben sich Erzberger, der nun auf
dem Weg zu Verhandlungen mit den Franzosen ist, und der General, der sich über
die Friedensbemühungen empört, die er für eine sozialdemokratische Verschwörung
hält, getrennt.
Während Pauls Kompagnie zurück an
die Front muss, trifft Erzberger mit seiner Delegation beim Zug der Franzosen
ein, in dem er einen Waffenstillstand mit der französischen Delegation unter
Leitung des Marschalls Foch – einer historischen Persönlichkeit – verhandelt.
Szenen aus der Verhandlung wechseln sich mit den Ereignissen an der Front ab.
Paul und seine Kameraden müssen die französischen Stellungen stürmen, plündern
diese und schon erfolgt ein Gegenangriff der Franzosen, während General
Friedrich die Front aus sicherer Entfernung beobachtet. Auf der Flucht vor dem
französischen Gegenangriff werden Menschen mit Panzern überfahren, von
Kampfflugzeugen erschossen, Albert Kropp wird von französischen Flammenwerfern
verbrannt, Frantz Müller geht im Chaos der Schlacht verloren und Paul versteckt
sich in einem Bombentrichter. Als der französische Gegenangriff ihn einholt,
ersticht Paul einen Franzosen, der von einer Explosion in den Trichter geschleudert
wird. Er muss ihm beim Sterben zusehen und bereut seine Tat, als er sein
Gegenüber als Menschen erkennt. Bei einem Gespräch zwischen General Friedrich
und seinem Untergebenen Major von Brixdorf wird die
chauvinistische Besessenheit des Generals von Militär, Männlichkeit und
Nationalismus deutlich. Erzberger kann die Verhandlungen schließlich
erfolgreich beenden, nachdem Hindenburg der Unterschrift des Waffenstillstands
zugestimmt hat.
Im Lazarett gibt Tjaden das
Halstuch der Französin, das er von Frantz Müller vor dessen Tod erhalten hat,
an Paul weiter, bevor er sich tötet, da seine starken Verwundungen für ihn eine
Zukunft als Landjäger unmöglich machen. Die Nachricht vom Waffenstillstand
verbreitet sich an der Front und Paul und Kat ziehen los, um den Bauer erneut
zu bestehlen. Dabei wird Kat vom Sohn des Bauern, der ihnen unauffällig gefolgt
ist, angeschossen und stirbt, während Paul ihn zum Lazarett trägt. Kurz vor
Eintritt des Waffenstillstandes befiehlt General Friedrich seinen Soldaten
einen weiteren Angriff, an dessen Ende um 11 Uhr am 11.11.1918 Paul im Nahkampf
getötet wird. Ein junger Soldat, den Paul im vorausgegangenen Angriff gerettet
hat, nimmt sich das Halstuch und vergisst dabei, Pauls Plakette mitzunehmen.
Historische Hintergründe
Mit der Geschichte von Matthias
Erzberger und General Friedrich greift der Film den Themenkomplex der
Dolchstoßlegende auf. Die Dolchstoßlegende wurde nach dem Ersten Weltkrieg von
der Obersten Heeresleitung verbreitet, um die Schuld an der Niederlage auf Gruppen
der Zivilgesellschaft wie Sozialdemokraten, Demokraten im Allgemeinen und Juden
abzuwälzen. Dieser Lüge zufolge hätten diese Gruppen die „im Felde unbesiegten
Soldaten“ hintergangen und so die Niederlage herbeigeführt. Im Laufe der Zeit
wurde diese Erzählung von vielen extremistischen und revisionistischen
Elementen aufgegriffen und für propagandistische Zwecke verwendet. Matthias
Erzberger war ein Politiker der Zentrumspartei, der im August 1921 von der
rechtsextremen Terrorgruppe „Organisation Consul“
ermordet wurde. Im Laufe des Ersten Weltkriegs rückte er von seinen Forderungen
nach der Annexion weitreichender Gebiete ab und setzte sich verstärkt für den
Frieden ein. 1918 leitete er die deutsche Delegation bei den
Waffenstillstandsverhandlungen zwischen der Französischen Republik und dem
Deutschen Reich im Wald von Compiègne, die, wie im Film gezeigt, im
Eisenbahnwagen des Marschalls Foch stattfanden. Vor dem Hintergrund der
Dolchstoßlegende wurde Erzberger darum zum Ziel von Hass und Hetze. Ebenfalls
wird im Film der Tod von Erzbergers Sohn aufgegriffen, der 1918 als Soldat an
der Spanischen Grippe starb, wenn Erzberger im Film sagt, dass sein Sohn im
Krieg gestorben sei. Der „Organisation Consul“ fiel
im Juni 1922 auch der jüdische liberale Politiker und Außenminister der
Weimarer Republik, Walther Rathenau, zum Opfer, der für eine Weiterführung des
Krieges plädiert hatte, um eine bessere Verhandlungsgrundlage zu haben.
Ebenfalls im Juni 1922 versuchten die Terroristen, den sozialdemokratischen Politiker
Philipp Scheidemann zu ermorden.
Aspekte der Darstellung
Die Handlung des Films wird am
Anfang und am Ende von einer Landschaftsaufnahme eingerahmt, die eine bewaldete
Hügelkette an zwei unterschiedlichen Tagen bei Morgengrauen zeigt. In den Film sind einige Aufnahmen unberührter
Natur eingestreut, welche die Jahreszeit anzeigen. So ist zum Beispiel am
Anfang des Films – im Frühjahr 1917 –, ein stiller Wald und die Aufnahme einer
Fuchsmutter mit ihren Jungen im Bau zu sehen. Diese Bilder stehen im Gegensatz
zu den weitschweifigen Aufnahmen der Wüsteneien der Schlachtfelder im Wechsel
der Jahreszeiten, die tagsüber in grauem wolkenverhangenem Licht dämmern und
nachts vom bunt schillernden Zwielicht der Leuchtgranaten erhellt werden. Zu
den Nahaufnahmen der verdreckten Gesichter der Soldaten kommen die
detaillierten Aufnahmen der Zustände in den Schützengräben und auf dem
Schlachtfeld, wo sich Heere von Ratten herumtreiben, die vor Angriffen fliehen,
und sich Blut, Matsch und Regenwasser vermischen. Der Schrecken der
Schlachtfelder wird dabei immer wieder mit den Aufnahmen der luxuriös
eingerichteten Eisenbahnwagen der Verhandler und dem guten Essen des Generals
in seiner beschlagnahmten Villa kontrastiert. Die Fuchsmutter und ihre Jungen
erscheinen im Gegensatz zu der Hügelkette am Ende des Films nicht mehr. Das
Kinderlied „Fuchs du hast die Gans gestohlen…“, das
die Freunde singen, nachdem Paul und Kat mit der geklauten Gans auftauchen, die
sie dann zusammen essen, verliert dadurch seinen heiteren Charakter, vor allem
wenn sie es auf „…gib sie wieder her, sonst wird dich der Bauer holen mit dem Schießgewehr“ umdichten, sodass man darin eine
Anspielung auf Kats Tod, aber auch auf das Ende der am Anfang aufgebrochenen
Jungen, sehen kann. Das Mienenspiel Pauls, das zu Beginn des Films noch eine
breite Palette an Gefühlen und Regungen zeigt, verflacht zunehmend und weicht,
wie auch bei seinen Freunden, schließlich vollständig einem stumpfen,
erschöpften Ausdruck. Ist er zu Beginn noch begierig darauf, sich in die
Schlacht zu stürzen und Franzosen zu töten, verroht und verzweifelt er im Zuge
vielfacher Traumata zunehmend, bis er die schrecklichen Ereignisse zuletzt
regungslos hinnimmt. Für Paul und seine Freunde spielt die Abwesenheit von
Frauen immer wieder eine Rolle. Als sie zur Front aufbrechen, singen sie noch
von ihren in der Heimat zurückgelassenen Liebschaften und ihrer baldigen
Rückkehr, während sich im Krieg ihre Sehnsucht zeigt, wenn Paul Kat den Brief
von dessen Frau vorliest, Kropp sich nicht traut mit Müller und den
Französinnen mitzugehen und später das Bild der eleganten Frau vom
Anschlagbrett mitnimmt, oder wenn alle nach Müllers Rückkehr aufgeregt am
mitgebrachten Halstuch schnüffeln.
Vergleich zur
Romanvorlage
Der Film weicht in weiten Teilen
von den Geschehnissen des Buches ab, wobei er vieles weglässt, einiges ergänzt
und manches umändert. Zu den Streichungen gehören unter anderem die
Demütigungen und der Drill, den die jungen Rekruten durch ihren Ausbilder
Himmelstoß erfahren sowie Pauls Aufenthalt im Lazarett und die dortige
Konfrontation mit dem Elend russischer Kriegsgefangener. Auch der Fronturlaub,
während dem Paul Bäumer zurück in seine Heimatstadt reist und erlebt, wie weit
er sich von seinem früheren Leben entfernt hat sowie der Besuch des Kaisers an
Pauls Frontabschnitt, was als lächerliche Inszenierung enttarnt wird, fehlen.
Des Weiteren wurde das Gespräch der Kameraden über die Ursachen und die
Irrationalität des Krieges nach dem Kaiserbesuch und die Zeit, welche die Kameraden
in einem geräumten Dorf mit Essen und Trinken verbringen, gestrichen. Auffällig
ist außerdem, dass im Film einige Charaktere aus dem Buch, bei denen es sich um
weitere Kameraden Pauls handelt, nicht vorkommen oder abgeändert wurden, wie
Leer, Detering, Haie Westhus, Josef Behm und Franz
Kemmerich. Zu den Ergänzungen gehören in erster Linie die Abschnitte, die von
Erzbergers Bemühungen um Frieden und von den Allüren des Generals Friedrich
handeln. Außerdem ist der Wiederverwertungsprozess der Uniform und die Suche
nach den verschwundenen Rekruten neu, lehnt sich aber an die im Roman
weitergereichten „guten Stiefel“ des Kameraden Kemmerichs an. Umgeschrieben
wurde vor allem Pauls Tod. Während er im Buch einige Wochen vor Kriegsende an
einem ruhigen Tag fällt, was mit einigen knappen Sätzen abgehandelt wird und
dem Roman seinen Titel gibt, stirbt er in dieser Verfilmung nach einem
unnötigen Angriff in den letzten Sekunden des Krieges durch die Hand eines
Franzosen. Die meisten Geschehnisse wurden im Vergleich zum Buch in die letzten
Tage des Krieges verlagert und auch die Ortsangaben sind recht präzise. Auch
die Szene mit den Französinnen weicht stark von den Schilderungen im Buch ab,
in denen Paul, Kropp und Leer drei Frauen besuchen und die Nacht mit ihnen verbringen
als Gegenleistung für mitgebrachtes Essen. Eine subtilere Änderung besteht in
der Tatsache, dass der Entschluss zum freiwilligen Kriegsdienst bei den jungen
Männern im Film schon vor der Rede ihres Lehrers fällt, im Buch aber erst
danach. Was die Art der Darstellung anbelangt, sind als besondere Parallelen
die Landschaftsbeschreibungen beziehungsweise -aufnahmen, das Licht der
Leuchtgranaten sowie die Schlachtfelder und das Kriegsgerät im Allgemeinen zu
nennen. Abweichend von den Darstellungen im Buch sind vor allem die
Streichungen einiger Stellen zu bemerken, die das Grauen des Krieges in
besonders eindrücklicher Weise beschreiben. Dazu gehören unter anderem das
Pferd, das sich in seinen heraushängenden Gedärmen verfängt, und die
Beschreibungen der „Zerschlagenen Fressen“ der versehrten Soldaten. Ein
besonderes Element dieser Neuverfilmung ist die Musik von Volker Bertelmann
(alias Hauschka), die mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Mit eindringlichen
Tönen und wenig Melodie werden die dramatischen Geschehnisse in ihrer
Trostlosigkeit verstärkt.
Vergleich zu
bisherigen Verfilmungen
Die Romanvorlage dieses Films wurde
zuvor schon zweimal adaptiert, einmal 1930 und einmal 1979 (es wird sich im
Folgenden auf den Director’s Cut bezogen). Im
Unterschied zu beiden vorangegangenen Werken handelt es sich bei dieser
Verfilmung um die erste deutsche und deutschsprachige Bearbeitung des
Materials, während die beiden anderen aus Amerika stammen. Die Verfilmung von 1930 befindet sich näher an der
Handlung der Romanvorlage als die aktuelle Verfilmung, da deutlich weniger
Teile gestrichen wurden, keine längeren Passagen hinzugefügt wurden. Während im
Roman mit Rückblenden bzw. -erinnerungen gearbeitet wird, erzählt diese erste
Verfilmung die Geschehnisse in der zeitlich richtigen Reihenfolge, beginnt also
mit einer Szene, in der die Schulklasse um Paul Bäumer herum vom Klassenlehrer
überredet wird, sich freiwillig zu melden. Aber es fehlen auch einige Teile des
Romans, wie etwa der Besuch des Kaisers, oder wurden geringfügig angepasst.
Diese erste Verfilmung war neben ihrem künstlerischen Wert und der darin
eingeflossenen Innovationen der Filmtechnik auch historisch wichtig, da die
Nationalsozialisten kurz nach Erscheinen des Films einen politischen Erfolg
durch dessen Verbot erzielen konnten, obwohl der Film für Deutschland bereits
angepasst worden war, um die Zensur zu umgehen. Die zweite Verfilmung von 1979 hält sich vergleichsweise streng
an die Romanvorlage. Es wurde nur Weniges ganz gestrichen oder verändert und
die Dialoge sowie die Erzählerstimme Pauls, die den Film begleitet, entstammen
teilweise dem Originaltext des Romans. Im Unterschied zur neuesten Verfilmung,
finden in den beiden vorangegangenen Filmen Teile der Handlung in einer
Ruinenstadt in der Nähe der Front statt. Was allen drei Filmen fehlt, sind die
Passagen des Romans, in denen Paul und seine Kameraden die Lebensmittel eines
verlassenen französischen Dorfes plündern. Auch diejenigen Teile des Romans, in
denen die Gräuel des Krieges sehr explizit geschildert werden, wurden in keine
der Verfilmungen aufgenommen. Nur die Szene mit dem Pferd wird im zweiten Film
angedeutet, indem dessen Schrecken und der Gnadenschuss gezeigt werden.
Ebenfalls findet eine Szene, in der Kat einem verletzten jungen Rekruten den
Gnadenschuss geben will, nur im zweiten Film Eingang. Was aber in allen drei
Filmen aufgegriffen wird, ist das Bild der jungen Dame am Anschlagbrett, die
Trichterszene und der Streit mit dem Koch.
Rezeption
Die Kritiken zum Film im
deutschsprachigen Raum fielen im internationalen Vergleich deutlich durchwachsener
aus.[5] Gerade in der Zeit kurz nach Anlaufen des Films erschienen
in großen überregionalen Zeitschriften negative Kritiken. Gleichzeitig gab es
auch im deutschsprachigen Raum viel Lob für den Film, da dieser die Schrecken
des Krieges schonungslos offenlege und die Arroganz und Weltfremdheit des
deutschen Generalstabs zeige. So könne der Film seinem Anspruch als
Anti-Kriegsfilm gerecht werden.[6], [7], [8] Was die negative Kritik
anbelangt, wurde diese meist mit den Abweichungen vom Roman begründet. Dabei
sind vor allem drei Punkte zu nennen. Erstens wurde beanstandet, dass die
Auseinandersetzung mit Krieg als gesellschaftlichem Phänomen durch die
Streichung des Drills verloren gehe.[9] Zweitens würden die
Abweichungen vom Ende Paul Bäumers gepaart mit den
Waffenstillstandsverhandlungen zu einem Verlust der Botschaft des Buches
führen, da die Austauschbarkeit und Ohnmacht der Soldaten im Krieg so aus dem
Fokus gerate und der Film an diesen Stellen stattdessen zu einem
Actionspektakel verkomme.[10] Drittens raube die Fixierung auf die
deutschen Perspektive dem Werk seine Allgemeingültigkeit und damit einen Teil
seiner Wirkungskraft.[9] Oft wurde auch bemängelt, dass der Film
daran scheitere, das Grauen des Krieges zu zeigen, sondern dieses vielmehr
ästhetisieren würde.[9], [11] Verteidiger des Films merkten wiederum
an, dass die gezeigten Bilder eher weniger ästhetisch als vielmehr eindrücklich
seien und dass der Film durch die Änderungen und Ergänzungen andere wichtige
historische Themen aufgreife, die zum Anliegen Remarques passen.[12], [13]
Edward Berger verteidigte seinen Film auch selbst gegen die vorgetragene
Kritik. Zum einen habe Remarque selbst gesagt, dass ein „Buch […] ein Buch
[ist]. Und wenn es verfilmt wird, ist es ein neues Medium“.[12] Zum
anderen müsse man die historische Perspektive auf den Ersten Weltkrieg
berücksichtigen und das heiße, Überlegungen einzubeziehen, wie es wenige Jahre
später zum Zweiten Weltkrieg hatte kommen können. Durch die Einbeziehung der
Dolchstoßlegende sei sein Film ferner zeitgemäß, da er so auf den Aufstieg
nationalistischer Kräfte weltweit reagiere.[14]
Neben den Diskussionen um den
Film selbst wurden auch Debatten über Themen aus dem Umfeld des Films
angestoßen. So wurde der Film zum Beispiel als Grundlage für eine Diskussion
über die deutsche Filmbranche herangezogen. In diesem Zusammenhang wurde viel
über die Rolle der Deutschen Filmförderung gesprochen, die an der Verfilmung
Bergers unbeteiligt war. Die amtierende Kulturstaatsministerin Claudia Roth versprach,
sich einer Reform dieser Institution anzunehmen. Nach den Oscar-Verleihungen
2023, bei denen der Film den Oscar als bester internationaler Film sowie für
die beste Filmmusik, die beste Kamera und das beste Szenenbild erhielt, äußerte
Roth ihre Hoffnung, dass die internationale Bedeutung des deutschen Films
dadurch gestärkt werden kann. Weitere Erfolge erzielte der Film bei den Baftas (British Film Award), bei denen er sieben
Auszeichnungen erhielt, und beim Deutschen Filmpreis, wo er mit neun Lolas
ausgezeichnet wurde.[15], [16] Auch wurde der Film als Beispiel für
die wachsende Bedeutung von Streaming-Diensten und der damit zusammenhängenden
Krise der Kinobranche herangezogen.[17] Neben diesen Beiträgen zu
gesellschaftlichen und kulturellen Themen wurde der Film auch vielfach vor dem
Hintergrund des Russland-Ukraine Krieges von 2022 eingeordnet. Dabei wurde oft
auf die bestürzende Aktualität des Films verwiesen, welche den Zuschauer über
den Umweg des Films mit diesem Krieg konfrontiere oder genau daran scheitere,
wie Kritiker meinten.[18], [11] Auch die Verantwortung, die
Deutschland gegenüber der Ukraine habe, unter anderem durch die Lieferung von
Waffen, wurde dabei behandelt.[6] Regisseur Berger betonte in
Interviews sein Bedauern über die akute Relevanz seines Themas und erklärte,
dass der Film unter dem Eindruck des weltweiten Aufstiegs populistischer Kräfte
und chauvinistischer Tendenzen entstanden und der Realität im Ukraine-Krieg
natürlich nicht gewachsen sei.[14]
Insgesamt hat der Film eine
breite Resonanz gefunden und weicht stark vom Buch und damit auch von den
bisherigen Verfilmungen ab, was ihm sowohl Lob als auch Kritik eingebracht hat.
Darüber hinaus hat er Debatten angestoßen, die über den Film selbst hinausweisen
und die sowohl die Branche selbst als auch politische und gesellschaftliche
Verhältnisse thematisieren.
[1] dolcevita.
»Literaturverfilmung: Im Westen nichts Neues mit Daniel Radcliffe«. lesekreis.org, 24.06.2010 [R-A 9.18.0013].
[2] »Roger Donaldson plant
Neuverfilmung des Romans ›Im Westen Nichts Neues‹ von Erich Maria Remarque«. www.kino-zeit.de, 25.09.2014 [R-A
9.18.0040/001].
[3] Jana Krawczyk. »Klassiker Im
Westen nichts Neues erhält Remake«. www.moviepilot.de,
25.09.2014 [R-A 9.18.0041].
[4] Thomas Schultze. »Am besten
viel Neues«. Blickpunkt: Film, 21.06.2021,
14–19 [R-A 9.18.0082].
[5] Sandra Kegel. »Kino im Krieg«.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.03.2023,
1 [R-A 9.18.1079].
[6] Hanns-Georg Rodek. »Die
Verlierer verfilmen ihren Krieg. Bisher war Hollywood für "Im Westen
nichts Neues" zuständig. Nun kommt die deutsche Version ins Kino«. Welt am Sonntag (Bundesausgabe), 25.09.2022,
44 [R-A 9.18.0180/004].
[7] Florian Schmid. »Die
Sinnlosigkeit des Krieges. Der Film "Im Westen nichts Neues" zeigt
bildgewaltig und brutal den mörderischen Wahnsinn des Krieges«. nd.Der Tag, 29.09.2022, 13 [R-A 9.18.0207/005].
[8] Oliver Kaever.
»Welt ohne Helden«. Der Spiegel, 17.09.2022,
118–121 [R-A 9.18.0177/003].
[9] Andreas Kilb. »Ein Krieg aus
dem Katalog«. Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 28.09.2022, 9 [R-A 9.18.0197].
[10] Hubert Wetzel. »Schlammschlacht.
Warum die Neuverfilmung von "Im Westen nichts Neues" fast nichts mehr
mit dem Roman von Erich Maria Remarque zu tun hat«. Süddeutsche Zeitung (Bundesausgabe), 31.10.2022, 12 [R-A 9.18.0289].
[11] Reiner Ruf. »Veredelung des
Kriegsgrauens. Deutschland hofft auf seinen Film-Oscar. Man fragt sich
allerdings: Weshalb eigentlich?«. Leonberger
Kreiszeitung, 11.03.2023, 1 [R-A 9.18.0671].
[12] Kevin Tschierse.
»›Im Westen nichts Neues‹ – gut gerüstet für die Oscars«. www.dw.com, 20.02.2023 [R-A 9.18.0438].
[13] Franz Becchi.
»Oscars: ›Im Westen nichts Neues‹ ist einer der besten Filme aller Zeiten«. www.berliner-zeitung.de, 13.03.2023 [-A
9.18.0725].
[14] Moritz von Uslar. »›Freunde,
es ist der Oscar!‹. Vier Oscars für einen deutschen Film! Ein Mittagessen in
Hollywood mit dem Regisseur Edward Berger am Tag nach der großen Nacht«. Die Zeit, 16.03.2023, 47–48 [R-A
9.18.1076].
[15] dpa. »Roth: Oscars
verschaffen deutschem Film weltweit Bedeutung«. Dpa, 13.03.2023 [R-A 9.18.0715].
[16] Christiane Peitz. »Oscars
für ›Im Westen nichts Neues‹. Signal, Erfolg, Dilemma«. Der Tagesspiegel, 15.03.2023, 27 [R-A 9.18.1063].
[17] Peter Körte. »Besser kann
der deutsche Film nicht sein«. www.faz.net,
25.09.2022 [R-A 9.18.0180].
[18] Tim Hofmann. »Der falsche
Oscar zur Kriegsdebatte?«. Freie Presse
Chemnitz, 14.03.2023, 17 [R-A 9.18.0904].
Wissenschaftliche
Studien und Aufsätze:
·
Stiftung Lesen Mainz. »Im Westen nichts Neues. Ideen für den
Unterricht ab Klasse 10«. https://www.stiftunglesen.de/schulportal/sekundarstufe/im-westen-nichts-neues
·
Marek Krisch. »Abstinenz von Ambivalenz?
Ein Vergleich zwischen Erich Maria Remarques Romanvorlage und Edward Bergers
neuer Filmadaption von Im Westen nichts
Neues«. Alice Cadeddu, Claudia Junk, Thomas F. Schneider (eds.). Networking Remarque. Zum 125. Geburtstag
Erich Maria Remarques. Göttingen: V&R unipress,
2024 (Erich Maria Remarque-Jahrbuch/Yearbook XXXIII),
235–254 [R-A 9.18.2.006].